Stalker im Käfig

9.9.2025

Hast du schon einmal vom Gurkenstalker gehört?

Auf Utube klicke ich die Videos über Updates in der Zone an, aber ich spiele S.T.A.L.K.E.R. 2 nicht mehr. Gehört jemand noch dazu, wenn es kein Spiel, keine Bewegung, keine Zone mehr gibt? Bin ich noch im Spiel? Eine Frage des Gurkenstalkers lautet: Kann man von innerhalb der Zone über die Zone urteilen?

Über die Zone zu schreiben, bringt mich zurück in die Zone. Hauptmann Autor und Oleh Kloster sitzen beim Lagerfeuer und reden über den Gurkenstalker. Sie hören, wie ich vorbeigehe, und rufen mir zu, „we’re your friends, we’re not like the others, man, really“. Sie fordern mich auf, mich dazu zu setzen und ein paar Geschichten über den Gurkenstalker anzuhören. Vielleicht setze ich mich dazu, vielleicht werde ich am Lagerfeuer in Gesellschaft von Hauptmann Autor und Kloster endlich verstehen, was es mit dem Gurkenstalker auf sich hat. Was bedeuten seine Worte? Ich starre in das Feuer.

Ich kenne inzwischen alle Enden von S.T.A.L.K.E.R. 2 und ich kenne die Übersicht der Steam-Achievements auf trueachievements.com, Stand April 2025:

She will never be free (Strelok): 4%
Project Y (Kaimanov): 3%
Brave new world (Korshunov): 4%
Today never ends (Scar): 1%

Viele tun, was Strelok sagt, und wenige folgen Scar. Ich bin nicht überrascht, dass es so ist. Ich erinnere mich, ich redete, beim Essen, ICH WAR strelok ICH STAND iN DER zone UND REDETE MIT DER kernschmelze BLABLA IM RÜCKEN DIE RUINEN VON EUROPA (Heiner Müller: Hamletmaschine). Ich erinnere mich daran, kein gutes und dann noch einmal kein gutes Ende erreicht zu haben. Ich habe es nicht gut gemacht, aber wie hätte ich es besser machen können?

Hauptmann Autor erzählt, dass der Gurkenstalker gesagt habe „Das Leben gehört den Toten“. Hauptmann Autor fragt, ob das wahr sei. Hauptmann Autor schaut mich an.

Today never ends: Am Ende blühen die Mohnblumen. Jemand schlägt seinen Stalker-Umhang um mich und sagt, „Reality … is whatever you think is real.“ Ich werde schläfrig. „Waved in the air, the red covers made the square resemble a field ablaze with butterflies“ (Ross Terrill: Mao – A Biography). Mit der Aussage Reality is whatever you think is real kann ich etwas anfangen, aber mich verstört die Vorstellung, beim Lagerfeuer never-ending Dad-Jokes anhören zu müssen. Qu’est-ce que la réalité ? Ernst von Glasersfeld schreibt, Realität sei „in der konstruktivistischen Perspektive eine Fiktion und zudem eine gefährliche, denn sie wird von Rednern und Autoren zumeist dazu benützt, dem, was sie behaupten, den Anschein absoluter Gültigkeit zu verleihen“ (Ernst von Glasersfeld: Fiktion und Realität aus der Perspektive des radikalen Konstruktivismus). Today never ends zeigt die Welt auch als Realität. Kloster sagt, wir seien die Screen Junkies, Kloster sagt, Zombies, Kloster sagt, Smombies und Kloster und Hauptmann Autor lallen zusammen, naja naja Jugendwort in Deutschland des Jahres des Jahres naja Jugendword. Ich lese ein Posting des Gurkenstalkers: Eternal spring, absolute Gültigkeit.

Haben die verschiedenen Enden, zumindest drei der vier, etwas gemeinsam? Geht es in allen Enden nicht irgendwie darum, dass ich vor dem Bildschirm mehr weiß als ich im Bildschirm? Mir vor dem Bildschirm wird die Realität mit dem Anschein absoluter Gültigkeit gezeigt, und darin sehe ich mich, Skif, im Bildschirm, wie ich getäuscht oder eingesperrt werde? Mir im Bildschirm bleibt etwas verweht, das mir vor dem Bildschirm gezeigt wird.

Der Gurkenstalker schreibt, dass er in in der Zone erwachsen geworden sei.

Ich lese Die Wand von Marlen Haushofer und bin begeistert vom Text. Im Tonfall von TikTok: die frau lebt in einer jagdhütte muss lernen mit tieren einer katze einem hund und einer kuh zu überleben und sich alles selbst zu organisieren. Ich würde verhungern, weil ich wirklich keine Ahnung von etwas außerhalb des Bildschirms und des Texts habe, und ich bewundere die Frau in ihrer Zone, wie sie dort mit der Katze und den Tieren lebt und arbeitet und erntet und beobachtet und aufschreibt. Mir gefällt es, dass so lange so wenig (so viel) passiert. „Ich saß ganz still in der Sonne und sah den Faltern zu, und ich glaubte eine Zeitlang dachte ich wirklich gar nichts“ (Marlen Haushofer: Die Wand).

Ich lese Die Wand als E-Book, mache Screenshots von Textstellen, die mir gefallen, und denke an den Stalker in der Zone, die zu seiner Zone geworden ist. „Ich hatte mich davon überzeugt, daß über Nacht eine unsichtbare Wand niedergegangen oder aufgewachsen war, und es war mir in meiner Lage ganz unmöglich, eine Erklärung dafür zu finden. Ich fühlte weder Kummer noch Verzweiflung, und es hätte keinen Sinn gehabt, diesen Zustand mit Gewalt herbeizuführen. Ich war alt genug, um zu wissen, daß er mir nicht erspart bleiben würde“ (Marlen Haushofer: Die Wand).

S.T.A.L.K.E.R. 2 ist ein Spiel darüber, welcher Richtung man folgt. Wenn du das Spiel zu Ende bringst, beantwortest du die Frage, wem du dich anschließt. Ich schließe mich, wie die meisten anderen auch, der Figur an, die die Zone zu einem Gefängnis macht. „Kann ich mich in der Zone selbst erkennen?“ In einem Gefängnis ist man nicht frei, man ist dort eingesperrt – gegen den eigenen Willen. Aus einem Gefängnis will man heraus. Man verzweifelt in einem Gefängnis. Marlen Haushofer schreibt in Die Wand: „Es soll Gefangene gegeben haben, die Ratten, Spinnen und Fliegen zähmten und anfingen, sie zu lieben. Ich glaube, sie verhielten sich ihrer Lage angemessen. Die Schranken zwischen Tier und Mensch fallen sehr leicht. Wir sind von einer einzigen großen Familie, und wenn wir einsam und unglücklich sind, nehmen wir auch die Freundschaft unserer entfernten Vettern gern entgegen. Sie leiden wie ich, wenn ihnen ein Schmerz zugefügt wird, und wie ich brauchen sie Nahrung, Wärme und ein bißchen Zärtlichkeit.“

Ich brauche „ein bißchen Zärtlichkeit“, schreibt Haushofer, so wie die Ratten und Spinnen und Fliegen und Stalker – und: ich auch? Ist das überhaupt so, mit der behaupteten Freundschaft zu den entfernten Vettern? Eine Motte könnte ihr gesamtes Leben in einem alten Schokoladenikolaus verbringen: Das kleine Mottenwürmchen windet sich heimlich durch die Aluminiumfolie, knabbert einen Weg durch die Schokolade und verpuppt sich im dunklen Hohlraum; dort schlüpft die Motte und findet aus dem dunklen Gefängnis aus Schokolade nicht mehr heraus. Sie verbringt ihr Mottenleben im Inneren des Schokoladenikolaus und stirbt. Ich erinnere mich an Werner Kofler, an In meinem Gefängnis bin ich selbst der Direktor, und denke, dass das Ende doch nicht so schlecht ist. In ihrem Schokoladenikolausgefängnis war die Motte ihr eigener Direktor. Hat ihr das geholfen? Was ist das für eine Analogie?

Ich weiß nicht, ob ich aus der Zone heraus möchte. Was befindet sich außerhalb der Zone? Er kenne die Zone, schreibt der Gurkenstalker, und er wisse, was sich hinter der Grenze der Zone befinde, was mir in der Zone verborgen bleibe. „Es war besser, nicht an die Wand zu denken“ (Marlen Haushofer: Die Wand). Ich glaube nicht an eine Welt hinter der Welt, und ich will auch nicht aus dem Spiel heraus, ich möchte in das Spiel hinein. „Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs ist vollkommen, absolut hoffnungslos.“ (Ludwig Wittgenstein: Vortrag über Ethik)

Ein „bißchen Zärtlichkeit“, die Freundschaft der entfernten Vettern: Ein Lagerfeuer wärmt und beim Lagerfeuer kann es zwischen den Stalkern, „Wir sind deine Freunde, wir sind nicht wie die anderen, Mann, ehrlich“, auch Zärtlichkeit geben. Man muss sich zusammenschließen, mit den anderen, beim Lagerfeuer, im Feuer. „Die Wandervogel-Bewegung hatte besonders Jugendliche dazu ermutigt, [...] am Lagerfeuer Volkslieder zu singen, den Sternenhimmel über sich zu sehen und sich vielleicht sogar auf andere Weise nahezukommen.“ (Philipp Blom: Die zerrissenen Jahre, 1918–1938)

Ich will immer noch in Rostok mit Mitka Schwimmbecken schlafen. Ob das im nächsten Patch möglich sein wird? Wird jemand dafür einen Mod schreiben?

Die Zone wird noch gepatcht.

Soll der Stalker am Lagerfeuer einen Treueschwur oder was auf den Gurkenstalker leisten? Passt das zum Stalker? Muss sich ein Stalker anschließen? Ist das ein konzeptuelles Problem? Als ich zum Rammsteinkonzert gehe, tragen Hunderte Leute vor mir T-Shirts mit dem Spruch MANCHE FÜHREN (vorne) MANCHE FOLGEN (hinten) und alle alle alle strömen in dieselbe Richtung, zur Bühne, wo Rammstein dann fragt, ob ich ihn hören könne, und ich zusammen mit den anderen NEGATIV rufe, und er mit ICH VERSTEHE EUCH NICHT antwortet.

Mich interessiert, was es bedeutet, sich anzuschließen. Bedeutet das mehr (oder weniger?) als ein Abzeichen, das man nicht ablegen kann, im Inventar herumzutragen? Amanda Montell schreibt, dass es ganz einfach die Sprache sei: sich anzuschließen, heißt, in einer bestimmten Weise zu sprechen. MANCHE REDEN MANCHE REDEN NACH.

Ich bin unaufmerksam, dumm und begriffsstutzig, aber ich konnte in S.T.A.L.K.E.R. 2 die Unterschiede zwischen den Fraktionen nicht besonders gut verstehen. Das Spiel macht es dem Stalker auch nicht einfach: Die Fraktionsstalker sehen alle ähnlich aus und sie reden mehr oder weniger das Gleiche. Die einen wollen die leuchtende Zone, die anderen wollen die Zone abschaffen, und wieder andere wollen die echte Zone, aber alle sagen immer Zone, Zone, Zone.

Bei Faust ist klar, dass die Worte, mit denen er über etwas spricht, bestimmen, was das ist, worauf seine Worte fallen. Er sagt, ich zitiere, „Crazy fanatics,“ they say. „Murderers!“ „Brave warriors,“ I tell you! His worthy children! Bist du ein irrer Fanatiker oder ein tapferer Krieger, Stalker? Faust sagt, er kenne die Wahrheit. Der Gurkenstalker schreibt auch, dass er die Wahrheit kenne.

Die Stalker reden, aber ihre Unterhaltungen sind zu gefällig, Dad-Jokes, Geschwafel. Ich will Stalker sehen, die wahnsinnig geworden sind und kreischend mit „Fleischermessern durch eure Schlafzimmer“ (Heiner Müller: Hamletmaschine) gehen. Ich will die Stalker zittern sehen. Ich will, dass die Fraktionen unterschiedliche Sprachen sprechen oder zumindest verschiedenen Slang benutzen. Ich will einen eigenen Slang haben, ich will mind control, I wanna have control, den perfect body, ich will einen Bombengürtel, ich will vieles und ziele mit dem Gewehr auf dies und das und das und dies, und sage immer, dass das jetzt ein Therapieerfolg sei.

Die Zone ist 164 GB groß und ich suche nach dem Gurkenstalker.

Du musst kein Gurkenstalker zu sein, um zu sagen, dass Welt und Wahnsinn nicht voneinander zu unterschieden sind, du brauchst nur in den Bildschirm zu schauen. Da ist בנימין נתניהו und sagt „‘Free Palestine’ is just today’s version of ‘Heil Hitler’“. Kennst du das Buch Die zerrissenen Jahre von Philipp Blom? Ich zitiere: „Wie kann ich in einer Welt leben, deren Werte und Vorstellungen plötzlich wertlos geworden sind? Diese Frage trieb viele von ihnen in die Arme der großen Ideologien.“

Ist das eine Erklärung oder eine Frage? Blom schreibt auch:

Faschismus, Sozialismus und Kommunismus können nicht nur als politische Religionen beschrieben werden, sie erfüllten auch eine religiöse Sehnsucht nach Ordnung, Sinn und Ziel, die in der von Zerrissenheit und Nihilismus geprägten Atmosphäre der 1920er und 1930er Jahre besonders ausgeprägt war.

Ordnung, Sinn und Ziel klingen nach viel mehr als „ein bißchen Zärtlichkeit“. Aber angenommen, es wäre so: Da ist die Welt ohne Sinn und da bin ich, in der Zone, und ich will Zärtlichkeit, Sinn, ein Ziel und Ordnung. Du willst Antworten, sagt der Gurkenstalker, du willst Gurken. Ich bin mir selbst nicht genug. Noch bevor ich etwas entgegnen kann, sagt der Gurkenstalker, dass es bei ihm Gurken gebe.

Kann man von außerhalb der Zone über die Zone urteilen?

Vermutlich reicht ein Wunsch nach „ein bißchen Zärtlichkeit“. Amanda Montell schreibt: „Human beings are really bad at loneliness. We’re not built for it. People have been attracted to tribes of like-minded others ever since the time of ancient humans, who communed in close-knit groups for survival. But beyond the evolutionary advantage, community also makes us feel a mysterious thing called happiness“ (Amanda Montell: Cultish: The Language of Fanaticism). Ich rufe das SM-Profil des Gurkenstalkers auf und klicke auf MANCHE FOLGEN.

 

Vor 30 40 50 60 Jahren singen Tocotronic Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein, und

ich weiß nicht, wofür ich stehe
ich bin nur hier, weil ich muss
ich weiß nicht, wofür ich lebe
ich weiß nicht mal, ob ich’s muss

und sie – ja, was, singen, behaupten, ironisieren, dass die Handbewegungen und Worte einen besonderen „besonderen Sinn“ hätten, wenn sie innerhalb einer Bewegung stattfinden und

Ich kenne mich mit Musik so gut aus! Rammstein und Tocotronic habe ich schon erwähnt, aber ich kenne noch ganz viele andere Bands und Lieder. Ich kenne zum Beispiel Opus und Laibach – und Sofia Isella. Kennst du Sofia Isella auch? „Art does not interpret itself“, singt sie, und das gilt noch viel allgemeiner: Die Zone interpretiert sich nicht selbst, sagt der Gurkenstalker, und ergänzt, dass Interpretieren auch Arbeit sei, Interpretationsarbeit, und er wisse, wie zermürbend es sei, alles sein zu können, was man sein möchte; deshalb sei er der Gurkenstalker geworden. Interpretieren sei Arbeit und Arbeit müsse bezahlt werden. Er sei da, um mir zu helfen. Der Gurkenstalker sagt, dass ich jetzt zum Kreis der Gurkenstalker gehöre und er beginnt mit seiner Interpretation. Die Zone ist …

millennials’ parents told them they could grow up to be whatever they wanted, but then that cereal aisle of endless “what ifs” and “could bes” turned out to be so crushing, all they wanted was a guru to tell them which to pick. (Amanda Montell: Cultish: The Language of Fanaticism)

und 60 50 40 30 Jahre später schreibst du in deine Bio, dass du in deiner hypercute era wärst und gibst deine Pronomen an.

Der Mensch ist das noch nicht festgestellte Tier, schreibt Nietzsche. Der Stalker geht in die Zone, weil dort nichts feststeht: Die Zone setzt sich nach jeder Emission neu zusammen. Der Stalker beobachtet, wie sich die Mitglieder der verschiedenen Fraktionen in der Zone gegenseitig töten. Der Gurkenstalker fragt mich, was meine Pronomen seien. Ich antworte mit Opfer/Täter, und er sagt, dass ich jetzt Gurkenstalker sei und als solcher angesprochen werden darf, werden soll, werden muss. Die Stalker sind in die Zone gekommen, „to be whatever they wanted“ (Amanda Montell: Cultish: The Language of Fanaticism), aber diese Freiheit (nicht die Fraktion) zermalmt sie.

Sich anzuschließen, heißt, „ein bißchen Zärtlichkeit“ zu bekommen. Ich spreche wie die anderen und verstehe immer noch kein Wort, aber „the meaning of a word is its use in the language“ (Ludwig Wittgenstein: Philosophical Investigations), n’est-ce pas ? Der Gurkenstalker schickt mir eine liebe DM, in der steht „Ich bin dein Wörterbuch“. Gurkenstalker Hauptmann Autor fragt, ob ich „Art does not interpret itself“ kenne. Er liest mir die Kommentare unter dem Posting vor:

„This will always heal a part of me“

„You’re in my algorithm for a reason 🔥🔥🔥🔥“

„forever in love with this song“

„Sofia , I’m glad to be born in your generation“

„🐰 🐰 🐰 🐰“

„Such a genius song in lyrics and delivery. Can’t wait to sing it with you in November!! 🐰“

Als ein Hasskommentar kommt („This music again? Do you have others? 😂“), kommen darunter andere Hasskommentare („you‘re a old man in a girls comment section complaining btw.“, „do you say this to literally any other artist when they’re playing their top hits?“, „how many songs did you make, hm?“ usw.) – das ist meine Familie, sagt Hauptmann Autor, und postet einen Hasskommentar mit ein paar Hasenemočis.

your “family”—whose fellow recruits you might call your sisters and whose leaders you might even refer to as Mom and Dad. By this point, you’ve developed a deeply emotional, codependent bond with these people. (Amanda Montell: Cultish: The Language of Fanaticism)

Kurz bevor ich den Psi-Strahler eine Stufe höher stelle und mein Gehirn grille, denke ich, nur für mich, bebi es ist so unsexy wenn du von der sprache mitgenommen wirst und nicht du mich mit der sprache mitnimmst, und danach tauche in ab in die Zone und zähle meine Abenteuer auf:

#Gurkenstalker.

Der Stalker läuft mit zwei Messern in den Fäusten durch die Zone und ersticht alle, die nicht seiner Meinung sind, und schreit dabei: GURKE AKBAR.

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Sogar in den unwichtigen Nebenmissionen geht es um die Frage, wem ich mich anschließe: Beard oder Sultan, Shevchenko oder Skadovsk?

Die Aufzählung, die Liste ist ein Machtinstrument, schau:

  1. Plato Bro
  2. Walko Hallo
  3. Wasil Fels

Die Liste gibt an, wer auf der Liste steht, und sie gibt auch an, wer nicht auf der Liste steht. Eine Liste reicht aus, um zu unterscheiden, ob jemand member of the club ist oder nicht. Roman Philosoph zum Beispiel steht nicht auf der Liste, tut mir leid, Philosoph.

Wenn Roman Philosoph kommt und um Eintritt bittet, kann ich sagen, du stehst nicht auf der Gästeliste, Roman. In meinem Gefängnis bin ich selbst der Direktor, und wenn der Gurkenstalker die Party veranstaltet, kann er selbst bestimmen, wer hineinkommt und wer nicht. In meinem Gefängnis ist keine Zelle übrig für dich, Roman Philosoph, scher dich zum Gehirnschmelzer, du Schaumschläger.

Wenn du das Token der Zuordnung im Inventar hast, wirst du es nicht mehr los. „Dieser Gegenstand kann nicht abgelegt werden“. Ich darf mit dem Gurkenstalker schlafen. In Rostok schlafe ich mit Witjok Öltanker, Romtschik Alligator, und Apotheker. Ich erschieße Scheka Schwindler und Liontschik Magnet. Ich schlafe mit Hrischa Schmelzer unter den Kühltürmen von Tschornobyl und mit Apotheker, noch einmal, auf der wilden Insel „breathing peacefully in the morning air. We shared the dirty hardwood floor, the cold sleeping bag, and the aroma of a life far from glamour and fake smiles“ (Markiyan Kamysch: Stalking the Atomic City). Ich erschieße alle, die keine Gurkenstalker sind.

 

Dieser Text könnte nun zum Beispiel gut enden, mit Sharp X Mind zum Beispiel: In Episode 60 von Sharp X Mind gehe ich mit Mr. Fish, dem underground artist, in den Keller. Es ist kein echter Keller, sondern die Erinnerung an einen Keller, und außerdem bin ich zugleich im Keller, der eine Erinnerung ist, und im Gehirn von Mr. Fish, aber egal (die Spielbeschreibung lautet: „Enter the tortured mind of underground artist Mr Fish and help him achieve his last living artistic experience in a bloody adventure of weirdness and nudity“; das sagt eh alles). Im Keller stehen zwei Reihen mit Glaskäfigen und darin sind menschenartige Gestalten eingesperrt. Mr. Fish führt mich durch das Privatgefängnis in seinem Gehirn und ich lausche seinen Ausführungen; über den englischen Untertiteln baumelt sein Pimmel, der beim Gehen hin- und herwackelt. Er deutet auf die eingesperrten Gestalten: „Feminist, masculinist, supremacist, LGBT, woke, comploitist [jemand, d Verschwörungstheorien anhängt = Spinner = conspiracy theorist]. All of these radical groups are in an impervious cognitive bubble, reinforcing each other in their ideology and violently rejecting any divergent ideas. [...] Do you have the mental capacity to rise above all this crap?“ Die letzte Frage könnte auch vom Gurkenstalker kommen, und natürlich stimme ich zu. Ich freue mich auf den nächsten Monolog und die nächste Cutscene.

Die einen Gestalten haben blaue Haare, die anderen haben Körper mit großen Brüsten und Schwänzen. Das Kunstwerk, an dem Mr. Fish arbeitet (Spoiler), ist ein Käfig, dessen Stäbe sich durch die Körper der menschenartigen Gestalten bohren, die tot in den Käfigstäben hängen. Ich muss zugeben, ich verstehe es nicht ganz: Ist das ein Kunstwerk aus Leichen? Es gibt in Sharp X Mind Figuren, die aussehen wie Menschen, und es gibt andere Gestalten, die etwas zwischen Mensch und Erinnerung zu sein scheinen und zum Beispiel kein richtiges Gesicht haben. Solche Gestalten sind in den Käfigen eingesperrt. Ich lese noch einmal die Spielbeschreibung, und denke, dass es ja egal ist. Der Kunstkritiker Arty (lol), in dessen Haus sich der Keller befindet, ist ganz außer sich vor Begeisterung über das Kunstwerk aus Leichen, er ist aber realistisch genug, um zu bemerken „It will obviously be impossible to exhibit this work as it is“.

Kunstkritiker Arty sagt, „My mother always told me that we shouldn’t put people in boxes“; Amanda Montell schreibt, „millennials’ parents told them they could grow up to be whatever they wanted“. Im Drama scheitern die Figuren an der Freiheit. Die einen suchen einen Guru, einen Gurkenstalker, der die Freiheit nimmt und „ein bißchen Zärtlichkeit“ gibt, und die anderen suchen einen Mr. Fish, der zeigt, dass du in einem Gefängnis gefangen bist. Es ist mir unklar, wer Sharp X Mind entwickelt hat (Nicolas Perra von Eat People Not Animals, und vielleicht bedeutet von eigentlich =), und von welchem Gefängnis aus das Spiel gemacht worden ist. Ich halte es für Unsinn, durch den Keller zu gehen, auf die in Käfigen eingesperrten, nackten Körper zu zeigen und zu sagen, woke = LGBT = feminist = masculinist = supremacist = comploitist, „these radical groups“. Das ist doch nicht richtig!?!?!?

Ich beschwere mich, und Feyerabendstalker kommt. Er erinnert mich an die beiden Fragen „Kann man von innerhalb der Zone über die Zone urteilen?“ und „Kann man von außerhalb der Zone über die Zone urteilen?“. Er sagt, das eine sei eine Beobachter- und das andere eine Teilnehmerfrage: „Beobachterfragen treten an Traditionen von außen heran. […] Teilnehmerfragen sind Fragen, die der Teilnehmer einer Tradition an eine mit ihr in Wechselwirkung stehende Tradition stellt“ (Paul Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen).

Feyerabendstalker sagt: „Teilnehmer können sich entschließen, ihre Tradition wie Beobachter zu behandeln. […] man kann ernsthaft Theater spielen, ohne in den Irrtum zu verfallen, daß man sich dem Lebensprozeß selbst verschrieben hat“. Ich gehe mit Feyerabendstalker, Mr. Fish und Arty vor den Käfig, in dem eine nackte männliche Gestalt hockt, die über und über mit Hakenkreuzen tätowiert ist. Mr. Fish deutet auf sie und sagt, people like him „are convinced that they are on a crusade and try by all means to spread their faith“. Arty sagt, „Stereotypes bias our perception and push us to categorize others“. Feyerabendstalker sagt, dass er das Fernziel einer Gesellschaft verfolge, „in der alle Traditionen gleiche Rechte und gleichen Zugang zu den Machtzentren der Gesellschaft […] haben“ (Paul Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen). Ist das sein Ernst? Die Nazigestalt soll gleichwertig mit der Wokegestalt sein? Alle sollen die gleichen Rechte und den gleichen Zugang „zu den Machtzentren der Gesellschaft“ haben? Ich weiß nicht. Ich schüttle den Kopf und mein geschmolzenes Gehirn schwappt heftig im Inneren des Schädels herum.

Mr. Fish sagt: Alle sind gleich, alle sind in einem Käfig eingesperrt.

Im nächsten Käfig sitzt der Gurkenstalker. Er fragt, „Are you going to free your art from the straightjacket in which it is locked?“ Ich weiß es nicht. Kann ich ernsthaft Theater spielen? Ich habe mich doch bereits entschieden. „Mich interessiert, was es bedeutet, sich anzuschließen“, wiederhole ich murmlend. Wie und warum schließt man sich jemandem an? Ist es wirklich nur der Wunsch nach „ein bißchen Zärtlichkeit“? Warum entscheide ich mich für diesen Käfig und nicht für den anderen? Was macht die eine Richtung besser als die andere? Warum Gurken? Ich blicke Feyerabendstalker fragend an, und er sagt, „Man nimmt ja oft an, daß die Wahl einer Tradition über eine andere (a) aufgrund von Maßstäben geschieht, die (b) zur Zeit der Wahl bekannt sind, (c) im Verlauf der Wahl explizit als Gründe zitiert werden können,“ – und ergänzt „Es gibt aber andere Fälle, in denen die Maßstäbe, die eine Entscheidung leiten sollen, durch den Prozeß der Entscheidung verändert werden. Die Kritik beruht hier nicht mehr auf vorgegebenen Maßstäben, sondern auf Maßstäben, die im Akt des Kritisierens erst entstehen: man baut Stück für Stück eine neue Tradition auf, um einen Bezugspunkt für die Kritik einer noch ohne Rivalen dastehenden Tradition zu erhalten.“ (Paul Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen)

Wenn ich lerne, zu sprechen, und box statt gym sage, oder Zone statt Gefängnis, dann schaffe ich so etwas wie eine neue Tradition und neue Maßstäbe, oder? Von seinem Käfig aus sagt der Gurkenstalker, dass das keine neue Tradition, sondern die Gurkentradition sei, und er derjenige sei, der in der Gurkentradition vorredet und Maßstäbe schafft. Im Rammsteinkäfig steht eine nur mit schwarzem T-Shirt bekleidete Gestalt; ich schaue ihr zwischen die Beine und auf den Aufdruck MANCHE FÜHREN am T-Shirt.

Ich seufze und überdrehe meine Augen. Ich zeige dem Gurkenstalker meinen ausgestreckten Mittelfinger. Er wird im Käfig bleiben, seine Worte werden mir folgen. Als ich mit Mr. Fish, Arty und Feyerabendstalker weiter zu den nächsten Käfigen gehe, nehme ich mein Handy und scrolle durch die Screenshots von Haushofer; ich lese, „Es war besser, nicht an die Wand zu denken.“

Zu /texte.